KDE 2.0 und Nautilus versprechen ein einfaches Linux Florian Cramer Bunte Bilder, Dateifenster, Mausmenüs: Mit der Windows-ähnlichen Benutzeroberfläche KDE 2.0 und der Dateiverwaltung "Nautilus" unternehmen Linux-Entwickler zwei neue Versuche, das freie Betriebssystem allen Computernutzern schmackhaft zu machen. Was unter diesen Oberflächen liegt, widersetzt sich jedoch der Eingliederung in simple Menüs und bleibt schwer verdaulich für Normalanwender. Linux ist heute, dank der Arbeit von Distributoren wie RedHat und SuSE, leicht auf dem PC installiert. Die meisten Neunutzer scheitern aber daran, das System dauerhaft einzusetzen, das - als gleichwertiger Nachbau des in Rechenzentren beheimateten Unix - auch gar nicht als Windows- oder Macintosh-Ersatz konzipiert wurde. Vorwände für solch eine Camouflage boten bislang die graphische Oberfläche KDE, der Netscape Navigator und das Programmpaket StarOffice, drei Programme, die unter Linux verschieden aussehen, unterschiedlich bedient und unterschiedlich konfiguriert werden und zu dritt langsamer, funktionsärmer und nicht einmal stabiler sind als die Konkurrenz von Microsoft. Die sperrige Schönheit und intellektuelle Eleganz von Linux erschloß sich erst denen, die tiefer ins System eindrangen und die von Unix geerbten klassischen Systemprogramme zu verwenden wußten. In der neuen Version 2.0 tritt KDE mit dem Anspruch an, diese Einschränkung zu beseitigen. Das Paket beinhaltet neben Fensterverwaltung und Programmenüs eine Kombination aus Dateimanager und Web-Browser à la Windows 98 sowie ein Paket mit PC-typischer Bürosoftware. Alle Bestandteile von KDE 2.0 sind aus einem optischen Guß, haben eine weitgehend einheitliche Bedien- und Konfigurationslogik und können sich außerdem nach dem Baukasten-Prinzip ineinander verschachteln, so daß man z.B. Textdokumente im Dateifenster nicht nur namentlich aufgelistet sieht, sondern unmittelbar lesen kann. Obwohl KDE 2.0 von seinen Programmierern für fertig erachtet wurde und jetzt schon mit vielen Linux-Distributionen ausgeliefert wird, stürzt es im täglichen Gebrauch oft ab. KOffice, das Paket aus Textverarbeitungs-, Tabellenkalkulations-, Präsentations- und Graphikprogrammen, verdient zwar Anerkennung als erstes seiner Art, welches als Freie Software geschrieben wurde, wirkt jedoch unfertig und bietet erheblich weniger Funktionen, als der von Microsoft eingeführte Name "Office" verspricht. Auch wenn sich das neue KDE wie sein Vorgänger bald stabilisiert, bleiben ein Hindernis sein Speicher- und Leistungsverbrauch. Mit aufgesatteltem KDE 2.0 verlangt Linux, das sonst noch auf alten 486er-PCs gut einsetzbar ist, der Rechner-Hardware mehr ab als z.B. Windows NT. Ein Prozessor der Pentium III-Generation und 128 Megabyte Hauptspeicher sind nötig, damit Fenster und Menüs nicht zäh und träge aufgehen. KDEs Dateimanager-plus-Webbrowser, in der kolonialistischen Tradition von Netscapes Navigator und Microsofts Explorer "Konqueror" getauft, hat vor kurzem einen ihm inner- und äußerlich ähnlichen Rivalen namens "Nautilus" bekommen, der zentraler Bestandteil des ebenfalls freien, aber mit KDE konkurrierenden Gnome-Desktops werden soll. Obwohl es von Nautilus bislang erst wacklige Vorabversionen gibt, mit noch barockerem Leibesumfang als die KDE-Software, sorgte das Programm über die Linux-Welt hinaus für Aufsehen. Seine Chefentwickler Andy Hertzfeld und Bud Tribble nämlich gehörten zu den Programmierern des ersten Apple Macintosh von 1984 und schrieben dessen berühmten graphischen Dateimanager "Finder". Ein Vergleich des neuen Kinds der Macintosh-Väter mit dem in sechzehn Jahren nur unwesentlich veränderten "Finder" wäre allerdings traumatisch für jeden Apple-Besitzer: Nicht nur funktioniert Nautilus wie Microsofts Windows 98-Explorer, er sieht auch genau so aus. Das Grundproblem im Umgang mit Linux lösen jedoch weder KDE 2.0, noch die künftige Gnome/Nautilus-Software. Während es z.B. zur Inbetriebnahme neuer Hardware es beim Macintosh fast immer, unter Windows in den meisten Fällen genügt, eine CD einzulegen und ein paar Mal mit der Maus zu klicken, setzt dasselbe unter Linux oft tiefergehende Systemkenntnisse voraus, schon deshalb, weil Linux zugunsten des Komforts keine Kompromisse bei Leistung und Betriebssicherheit eingeht. Hinzu kommt, daß "Linux" strenggenommen gar kein Betriebssystem ist, sondern nur Basis eines Heeres zahlloser Systemprogramme, die unabhängig voneinander entwickelt werden, jeweils ihre eigene Konfigurationslogik besitzen, je nach Distribution und persönlichem Geschmack in bestimmten Varianten oder aus mehreren Alternativen gewählt werden können, und die erst in ihrer Summe das System ergeben. Hilfsprogramme, die wie Microsofts "Systemsteuerung" oder Apples "Kontrollfelder" das Betriebssystem zentral und mausgesteuert einzurichten erlauben, greifen bei Linux daher immer zu kurz und bewahren, obwohl sie oft selbst schon kompliziert genug sind, niemanden davor, sich früher oder später mit technischen Interna auseinanderzusetzen. Dieses Problem ist zwar auch Windows-Kennern nicht unbekannt, die für spezielle Systemeinstellungen in den Text der berüchtigten "Registry"-Datei eingreifen müssen. Der Versuch aber, die Komplexität eines offenen Systems wie Linux zentral in den Griff zu bekommen, gleicht dem Unterfangen, eine Profi-Fotoausrüstung in einen Ferienknipser zu verwandeln, indem man ihr eine zusätzliche Automatik aufschraubt. Im Falle von Linux ist das Resultat nicht nur klobig, sondern auch potentiell fragil. Laienhaft administrierte Linux-Systeme sind dank ihrer Terminalfunktionen leichte Hacker-Beute, wenn sie in Firmennetze gestellt oder über Pauschal-Zugänge dauerhaft mit dem Internet verbunden werden. Wenn Apple sein Unix-basiertes MacOS X veröffentlicht und Microsoft, wie angekündigt, alle Windows-Versionen auf die Grundlage seines Netzwerk-Betriebssystems Windows NT/2000 stellt, werden allerdings auch die vermeintlich einfacheren Betriebssysteme ihre Benutzer mit einer Komplexität überfordern, die Linux nie verhehlt hat. (181 Zeilen)