# Open Access - die Autoren werden gestärkt ## von Matthias Spielkamp und Florian Cramer Frankfurter Rundschau, 21.4.2009 **(In ihrer Erwiderung stellen Matthias Spielkamp und Florian Cramer die Frage, wem die Beschränkung des Zugangs dient. Spielkamp ist Publizist in Berlin und Projektleiter bei iRights.info. Cramer ist Literaturwissenschaftler und leitet in Rotterdam einen Mediendesign-Studiengang.)** Können mehr als 1200 Unterzeichner eines Appells "Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte" irren? Können unzählige "public intellectuals", die diesen Aufruf unterzeichnet haben, darunter Hans Magnus Enzensberger, Adrienne Goehler, Alexander Kluge, Christina von Braun und Klaus Theweleit, irren, wenn sie den Schutz der "Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft" fordern? Zu ihrem Vorteil ist genau das zu hoffen. Denn wenn sie nicht irren, plädieren sie dafür, dass der Zugang zu "Kunst und Wissen" auf dem Stand der 1980er Jahre zementiert wird, und dass die geforderte Freiheit der Wissenschaft eingeschränkt wird, indem insbesondere naturwissenschaftliche Forschung weiterhin an Großverlage verschenkt und mit Steuermillionen zurückgekauft wird. Der Aufruf stammt von Roland Reuß, Literaturwissenschaftler in Heidelberg. Unterstützt haben dürfte ihn beim Verfassen Uwe Jochum, Bibliothekar an der Universität Konstanz, auf dessen Veröffentlichungen sich Reuß in seinen Artikeln bezieht. Beide haben nicht nur im Appell, sondern auch in der FR den Standpunkt vertreten, das so genannte "Open Access" bedrohe die im Grundgesetz verbürgte Freiheit der Presse, von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre. Das Gegenteil ist der Fall. Was ist Open Access? Nichts anderes als eine Selbsthilfebewegung von Wissenschaftlern, die sich von den großen Wissenschaftsverlagen enteignet fühlten. Nachdem Verlage über eine lange Zeit den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse erst möglich gemacht haben, begannen einige von ihnen, ihre Position als Gatekeeper auszunutzen. Allen voran die Großverlage der STM-Disziplinen (Science, Technology, Medicine) haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Oligopolstellung dazu genutzt, die Preise der Zeitschriften, in denen Wissenschaftler Erkenntnisse austauschen, so drastisch zu erhöhen, dass es zur so genannten "Zeitschriftenkrise" kam: immer mehr Bibliotheken mussten Zeitschriften abbestellen, weil sie die Abonnements nicht mehr bezahlen konnten. Was sich aber kaum vorstellen kann, wer mit diesem Publikationsbetrieb nicht vertraut ist: Wissenschaftler bekommen für ihre Artikel von den Verlagen keinen Cent, werden aber in vielen Fällen gezwungen, alle Rechte an ihren Beiträgen abzutreten. Die Steuerzahler zahlen so (mindestens) dreimal: einmal, indem sie die Wissenschaftler an Universitäten und anderen öffentlichen Forschungseinrichtungen finanzieren, dann noch einmal, wenn sie für die Bibliotheksetats aufkommen, aus denen die Abonnements bezahlt werden müssen. Zum dritten, weil Wissenschaftler die Qualitätskontrolle durch den so genannten Peer Review, also die Begutachtung der Artikel, ebenso übernehmen wie in inzwischen fast allen Fällen das Setzen und Layouten ihrer Artikel. Zur gleichen Zeit entwickelte sich mit dem Internet eine Technologie, die die Wissenschaftler von den Verlagen unabhängiger machte. Denn nun war es möglich, ohne deren Hilfe zu publizieren. Open Access definiert Qualitätsstandards dafür, dies jenseits improvisierter Homepage- Publikationen wissenschaftlich und editorisch professionell zu tun. Autoren werden dabei gestärkt, denn sie entkommen dem Zwang, ihre Rechte an einen Verlag abzutreten. Entgegen den Darstellungen von Reuß und Jochum wurde die Bewegung hin zu Open Access nicht von anonymen Wissenschaftsorganisationen ins Leben gerufen, um ihnen vorzuschreiben, wie und wo sie zu publizieren haben. Im Gegenteil: die Wissenschaftler selber haben zu Beginn bei ihren Organisationen für Open Access werben müssen, darunter Spitzenvertreter ihres Fachs wie der Mathematiker Donald Knuth, der Medizin-Nobelpreisträger Harold Varmus und der Linguist Stevan Harnad. Nur ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass der Zugang zu - vor allem: naturwissenschaftlichen - Informationen immer weniger von Verlagskonzernen wie ReedElsevier oder Springer Wissenschaft abhängig ist. In den Geisteswissenschaften herrscht eine andere Publikationstradition. Wenn Verleger wie KD Wolff mit großem persönlichen und finanziellen Einsatz Projekte wie Reuß' Kafka-Edition möglich machen, hat das mit dem Schröpfen der öffentlichen Hand nichts zu tun. In manchen Fällen ist es eher Mäzenatentum. Aber im "Heidelberger Appell" werfen Wolff und viele andere Verleger Open Access in einen Topf mit Google Books, einem Projekt, bei dem ohne Zustimmung der Autoren Millionen Bücher gescannt und verwertet werden. Google Books hat aber mit Open Access etwa so viel zu tun wie eine Buchclub-Drückerkolonne mit einer öffentlichen Bibliothek. Vielleicht ist all das nur ein Missverständnis. Doch da Reuß und Jochum auf ihm, aller sachlichen Entgegnungen zum Trotz, beharren und sogar YouTube und Musik-Tauschbörsen ins Spiel bringen, wird man den Verdacht nicht los, dass Gelehrte und Schriftsteller hier ein diffuses allgemeines Unbehagen am Internet artikulieren sowie ihre Panik, von der Medienentwicklung überrollt zu werden. Genau solches Beharren auf lieb gewonnenen Strukturen wird aber letztlich nur den Global Playern nützen, denen das Internet zurzeit die Chance bietet, ihr Oligopol auch auf die Geisteswissenschaften, Literatur und Künste auszudehnen. Open Access ist jedoch kein "new economy"-Geschäftsmodell, sondern im Gegenteil der Versuch von Wissenschaftlern, das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand zu nehmen und ein Medium für freie Forschung zu schaffen. Der "Heidelberger Appell" wird da, philologisch gesehen, zur Groteske, mit Potenzial zur Tragödie.