Der Titel des heutigen Abends ,,Intermedia'' mag merkwürdig anmuten in einer Veranstaltung, die als ganzes den Titel ,,Intermediale Poesie - konkret'' trägt und Ihnen am Montag und Dienstag mit den Hör- und Sehtexten auch fast ausschließlich intermediale Dichtungen präsentiert hat. Vielleicht gibt es eine pragmatische Lösung dieses Problems: Am heutigen Abend wird Ihnen Kunst präsentiert, die sich selbst nicht Literatur oder Dichtung nennt, sondern sich als Musik, Performancekunst oder bildende Kunst - bzw. digitale Netzkunst - der Buchstabenkunst der Literatur und speziell der Buchstabenkunst der konkreten Poesie angenähert hat.
Außerdem gewinnt der Begriff ,,Intermedia'', der in den 1960er Jahren von dem Fluxus-Künstler Dick Higgins geprägt wurde, an diesem Abend eine zusätzliche, kritische Bedeutung. Indem ,,Intermedia'' nämlich das ,,Zwischen'' und die kleinen Übergänge der Medien und Zeichensysteme betont, wird es zum Gegenbegriff der simplen Anhäufung von Medien, also zum Gegenbegriff des wagnerianischen ,,Gesamtkunstwerks'' und auch zum Gegenbegriff der ,,Multimedia''. Womit wir bei der Musik wären, die heute abend durch den Komponisten John Cage präsent ist, und bei den digitalen Netzkünsten, als deren Praktiker in der zweiten Hälfte des heutigen Abends Mindaugas Gapsevicius auftritt.
Vorstellung Lole Gessler
Lecture on Something, geschrieben von John Cage, Deutsche Übersetzung von Ernst Jandl
Es mag sie vielleicht wundern, daß Internet-Kunst auf einem Festival der konkreten Poesie gezeigt wird, zumal, wenn Sie mit Computern und Internet vielleicht alles mögliche verbinden, nur nicht die konzentrierte Präsentation von Sprache und Schrift. Das hat auch historische Gründe. Als das Internet Mitte der 1990er Jahre zum Massenmedium wurde, verband man damit gemeinhin Schlagwörter wie ,,Cyberspace'', ,,Hypermedia'' und ,,virtuelle Realität'' sowie die Erwartung, das Netz würde sich bald zu einem global interaktiven Fernsehen entwickeln.
Diese Erwartung gab es durchaus auch unter Künstlern und Kunstinteressierten, die zu dieser Zeit ins Netz gingen. Als interessantes Beispiel möchte ich die deutsche Internet-Zeitschrift ,,Telepolis'' nennen, die ein wichtiges Forum für Netzkultur, Netzkunst und Netzpolitik ist und gerade ihr fünfjähriges Erscheinen feiert. Ursprünglich sollte ,,Telepolis'' selbst ein Netzkunstwerk werden, beim Jubiläum gab die Redaktion digitale Kunst in Auftrag aus und präsentierte sie im Netz. Die Netzkunstwerk-,,Telepolis'' von 1995 war ein technisch aufwendig simulierter dreidimensionaler Raum, der übers Netz begangen werden sollte, die Netzkunstwerke von heute hingegen sind konzeptuelle Kunstwerke, die technisch bewußt einfach gehalten sind. Was war in der Zwischenzeit passiert?
Es passierte zunächst, was Sie selbst wahrscheinlich schon kennen, wenn Sie die Multimedialität des Internets einmal selbst ausprobiert haben: der Systemabsturz.
Bsp.: jodi.org, 404 <http://404.jodi.org>
Sie sehen die Website des holländisch-belgischen Netzkünstlerpaars jodi (Joan Heemskerk und Dirk Paesmans) in einer Fassung, die 1997 auf der Documenta in Kassel ausgestellt wurde. Das, was der Internet-Kommerz und seine Werbung systematisch verdrängt, nämlich die technischen Brüche unter den glatten Bildschirmoberflächen, die Fehlfunktionen und Störungen werden hier demonstrativ nach außen gekehrt und ironisch ausgeweidet. jodi.org ist zwar eine enorm raffiniert gemachte Website, aber dennoch das Gegenteil von Computer-Hightech.
Man könnte einwenden, es handele sich hierbei um eine bloße Ästhetisierung des Rauschens, der Störungen und Brüche. Doch hat diese Form der Netzkunst noch weitergehende Implikationen. Die Störungen, die sie dem Betrachter entgegenwirft, sind Codes. Man kennt es von PCs: Funktioniert der Rechner, so präsentiert er sich mit ästhetisch glatter Bildschirmgraphik, stürzt er ab, so produziert er unverständliche Textmeldungen und Buchstaben- und Zahlenreihen.
So zeigt sich gerade beim Absturz des Computers, daß er in seiner Programmierung und seiner Struktur keinesfalls eine multimediale Maschine ist, sondern auf Schrift - Null- und Eins-Code - basiert. Alle Computerprogramme sind digitale Schriften, aber digitale Bilder und Töne sind intern als Schrift gespeichert. Indem Netzkünstler sich zunehmend intensiver mit der technischen Codierung ihres Mediums auseinandergesetzt haben, haben sie sich auch ästhetisch der Schriftkunst angenähert.
Diese Annäherung geht so weit, daß Netzkünstler in Programmiersprachen Computersoftware geschrieben haben, die die verborgenen Schriftcodes des Internets aufzeigt.
Beispielhaft dafür ist das Computerprogramm ,,Web Stalker'' der Londoner Künstlergruppe IOD von 1998. Der Web Stalker ist ein selbstgeschriebener Web-Browser und erfüllt somit dieselbe Funktion wie z.B. der Netscape Navigator oder Microsoft Internet Explorer. Betrachtet man Websites im Web Stalker, so werden sie jedoch anders dargestellt als gewohnt:
Bsp.: LiteraturWerkstatt-Website in Netscape und in I/O/Ds Web Stalker
Statt glatt formatierter Seiten zeigt der Web Stalker den internen Programmiercode an, außerdem zeichnet er die interne Verweisstruktur der gesamten Website nach.
Die Daten im Netz werden dadurch gleichzeitig unlesbar gemacht und lesbar. Unlesbar wird die durch Software gefilterte, konventionelle Aufbereitung, lesbar wird ihre Struktur. Am ersten Abend dieses Festivals hat Gerhard Rühm darauf hingewiesen, daß die Dichtung der Wiener Gruppe und der konkreten Poesie damit begonnen habe, auf das Elementare der Sprache zurückzugehen. Ähnliches unternimmt die Netzkunst, die ich Ihnen heute vorstelle, im Digitalen. Und da dieses Digitale codiert, schriftlich verfaßt ist, überrascht es nicht, daß es nicht nur konzeptuelle, sondern auch ästhetische Parallelen von konkreter Poesie und Netzkunst gibt, und daß es mittlerweile Dichter gibt, die durch die Schule beider Traditionen gegangen sind und daraus eine eigene Poesie digitaler Codes entwickelt haben.
Ein solcher Autor ist Alan Sondheim, der seit den 1970er Jahren in New York als Performancekünstler, Kunstkritiker und -theoretiker arbeitet. Im Internet schreibt und verschickt er täglich Gedichte, die er als praktisches Experiment mit verschiedenen Personenmasken und Körperlichkeit im Netz versteht. Diese Körperlichkeit jedoch ist eine ganz überraschende. In Sondheims tagebuchartigen Dichtung schreiben sich seine digitalen Schreibwerkzeuge - Textverarbeitungs- und Filterungsprogramme, aber auch einfache Systemprogramme zum Verwalten von Dateien - mit ihren Meldungen direkt in den Text ein und werden von ihm ununterscheidbar.
Im Extremfall sind Sondheims Gedichte kaum entzifferbar ohne genaue technische Computerkenntnisse, so z.B. der Text ,,k15
k15% wc girls clotting everything. - 0 0 0 girls
Die zweite Zeile gibt tatsächlich die Rückmeldung des Kommandos wieder und verzeichnet eine leere Datei ,,girls'', die sich offenbar auf dem Computer des Verfassers befand.
k18% ls Mail lynx_bookmarks.html res tiny.worldp News mail stream venom.irc a girl tf volt.ircra lisp phoenix.hlp tf-lib zz lu phoenix.irc thing= t$:;"n\...ereh yrtsimehc
Nun wird, mittels des ,,ls''-Kommandos, das gesamte Dateiverzeichnis angezeigt. Die weiteren Zeilen dokumentieren, zum Teil verfremdet, Filterungen dieser Dateien; viele dieser Operationen dienen nur dazu, Fehlermeldungen des Systems zu provozieren, die sich interessant in den Text integrieren. Das ,,girl'' wird so als textueller Homunkulus in der Maschine erzeugt und diese Kreation wiederum in Systemkommandos reflektiert:
>>/echo it is raining out the girl - the girl constituted by language - if the /me indicates process, the /echo indicates girl - however >>/echo the girl burns >>/echo it is raining out the girl - however the /me in
Mit Hilfe weiterer Filterprogramme wird das Datei-Mädchen mit einem Datei-Jungen gekreuzt:
3 awk '/girl+/ { boy "girl" }' kenji_siratori.txt >> zz 36 awk '/boy+/ { girl "boy" }' kenji_siratori.txt >> zz 43 awk '/fuck+/ { girl "fuck" }' kenji_siratori.txt >> zz
Das Gedicht endet in einem Programmcode, der für sich als poetischer Text gelesen werden kann oder aber, maschinell ausgeführt, einen zweiten, hier nicht notierten Text generieren würde:
"0" } /[a]+/ { girl "a" } /[b]+/ { girl "b" } /[c]+/ { girl "c" } /[d]+/ { girl "d" } /[e]+/ { girl "e" } /[f]+/ { girl "f" } /[g]+/ { print "g" } /[h]+/ { girl "h" } /[i]+/ { girl "i" } /[j]+/ { girl "j" } 's/the*/the girl\!/' lu > ding 5 sed /the*/the girl\!/ lu > ding 6 sed '/the*/the girl\!/' lu > ding 7 sed 's/the*/the girl/g' lu > ding 9 sed 's/the */the girl/g' lu > ding 19 sed 's/the.*/the girl\!/' lu > zz 25 sed 's/^/ /g' yy > zz 34 sed 's/girl/boy/g' zz > yy; mv yy zz; pico zz 35 sed 's/boy/girls [...]
Trotz der Provokation von Fehlermeldungen und trotz schwerer Lesbarkeit ist Sondheims Text syntaktisch streng in Systemsteuercode geschrieben und gewinnt daraus vielfache Lesbarkeit: als herkömmlicher englischer Text, als Programmcode und schließlich als der Text, den er generiert, würde man ihn tatsächlich auf einem Unix-Computer ablaufen lassen.
Dieses Beispiel verdeutlicht, daß Schrift im Internet eine neue technische Qualität gewinnt. Sie wird nicht nur, wie in einem klassischen Medium als Botschaft übertragen, sondern steuert in Form von Befehlen und Protokollen auch selbst diese Übertragung. Computerviren sind das beste Beispiel für die technische Virulenz jeder Schrift im Internet.
Die Australierin Mary Ann Breeze, die ihre Texte u.a. unter den Pseudonymen ,,mez'', ,,netwurker'' und ,,Phonetrix'' publiziert spielt mit dieser Bedeutung der digitalen Schrift, sprengt aber die strenge Syntax der Befehlscodes, indem sie eine Phantasiesprache erfindet. Ihre ,,mezangelle'' ist eine poetische Kreuzung aus englischer Umgangssprache und syntaktischen Elementen von Programmiersprachen und Codierungskonventionen des Internets.
From: "Phonet][r][ix" <netwurker@hotkey.net.au> Date: Wed, 04 Apr 2001 15:51:24 +1000 Subject: <][w][Rit][e][ua.LIS][P][tic> <HEADHUNTRESS> <HEAD.FULL> ----<TI][red][TLE>RituaLIS][P][tic<TI][red][TLE>--- ----------------------------------- <SCRATCH Language=Juven][v][ilescrypt> <!-- ------The Art Of ][E][Go][a][-Blasting---- ------------------------------------------ -------------------------------------- -function:!!!!me!!!!me!!!!l!o!o!k!!@!!m!e!- - +drowning in a c.rowd][y][ of warring codes -N gel][t][lish hells +sur.][shark][fin][soup-eaters][.g sur][non][pl.usages, -a queen crowns herself king +cornered N drawn in piercing ebony dust -t.][s][h e.y crack][s][ n c.rumble][s] ------------------------------------------ -------------------------------------- //--> </sc.rip][ping N rape.ing yr sacchrine soul>t </head case.ing> - - <][grevious][BOD][il][Y][harm][ bgcolor="f*ckedupsubscribers"> - ---The Rit][e][ual Of ][In][Cens][ed][][W][orship---- ------------------------------------------- -------------------------------------- ]*bite* -X- *me*[ - - +zero][X][ tole][t][rancing in -B&W r.ob][sc][e][nitie][s +.u. .m u s t. .d i s p l a y. maxi.mum][& dad voice][ -regressive tend][onitis][encies +.m a i n t a i n. -abs][zer][o.lute ][vodka][ power +] ][B.come][ego -anal.y][anti][Isis][like][ ------------------------------------------ -------------------------------------- - - -----The Act][ion][ of Intero][gation][ception----- ------------------------------------------ -------------------------------------- -[ o ]- -b.lun][ging][dering in2 ][www][walls -streaming he.art.ache sing][e][songs -murd][m][e][smer][ring thru atom][osphere][s -rituali.stic][king out of yr neck][ -moderator-stat][hiat][us ][vs u, always][. - - ------------------------------------------ -------------------------------------- </BODY][of yr n.tent d.nied][> </HEADHURTING>
Wer weiß (oder es im ,,Web Stalker'' gesehen hat), wie gewöhnliche Webseiten programmiert sind, erkennt alle großgeschriebenen Wörtern dieses Text als Verfremdungen ihrer HTML-Codierung. Aus der Kopfzeile wird eine Kopfgeldjägerin, aus der Skript-Sprache Java die Scratch-Sprache Juven, der Titel (,,title'') wird müde (,,tired'').
Die rechteckigen Klammern sind der Syntax von Programmiersprachen entlehnt, wo sie alternative Suchwörter beschreiben. Die Zeile ,,The Rit][e][ual Of ][In][Cens][ed][][W][orship'' ist doppelt lesbar als ,,The Rite Of InCensed Worship'' oder ,,The Ritual of Censorship''. Das Gedicht handelt, wie eine genauere Analyse (von Komninos Zervos) zeig , von der Rebellion seiner Protagonistin und ihrem Scheitern. In seiner Schlußzeile ,,-moderator-stat][hiat][us ][vs u, always][.'' verleibt es sich die Zustandsmeldung eines Internet-Gesprächsforums ein: Der Moderator (,,moderator-status'') ruft die Protagonistin zur Ordnung (,,hiatus'' bzw. ,,us vs. u, always''), die Kopfjagd wird zum Kopfschmerz (,,HEADHURTING'').
Gerhard Rühm hatte am Montag abend betont, daß konkrete Poesie keine Wiederholung von Dada gewesen sei, sondern ein elementares Dichten mit dem Sprachmaterial. Ebenso sind Netzkünstler, die mit Digitalcodes als ihrem Material arbeiten, nicht einfach Epigonen der konkreten Poesie. Die Schriftzeichen, mit denen Netzkünstler spielen, haben eine andere technische Funktion als herkömmliche Schriftzeichen. Als Fragmente von Computersoftware, Datencodierungen und Netzwerkprotokollen ist ihre Irritation zugleich eine ästhetische und eine technische. So wurde jodi.org 1999 der Netzrechner abgeschaltet, weil die Betreiberfirma die Seiten für einen Computervirus hielt.
Von Computerviren und unverlangt zugesandter Werbe-E-Mail inspiriert ist auch Alan Sondheim's und mez' Taktik, eigene Texte massenhaft über Postverteiler im Internet zu verschicken und damit die Postfächer ihrer Empfänger zu verstopfen. (Bsp.: chinesischer Spam.) So komme ich am Ende meines Vortrags wieder zu meinem Plädoyer für intermediale Kunst als Gegenkonzept von Gesamtkunstwerk und Multimedia: Diese Form der digitalen Kunst und Poesie kommt mit simplen technischen Mitteln aus und gewinnt gerade daraus ihre konzeptuelle und ästhetische Schärfe.
Daß diese Manöver auch umgekehrt und für taktische Unschärfe nutzbar gemacht werden können, zeigt der zweite Künstler am heutigen Abend. Mindaugas Gapsevicius, kurz miga, hat im Vorfeld dieser Veranstaltung eine Kontroverse in dem wichtigsten deutschen Netzkultur-Forum "rohrpost" verursacht, als er auf seiner Webseite ein Computerprogramm installierte, mit dem Besucher per Mausklick Störbotschaften auf den Postverteiler verschicken konnten.
miga, rohrpost-Spam
Daten