$Id: language_a_virus_-_deutsch.html,v 1.7 2002/05/30 15:39:49 paragram Exp $

Language, a Virus?

Florian Cramer

11.4.2002

In einem Essay über experimentelle Software weist der Netzkunst-Kritiker Tilman Baumgärtel darauf hin, daß bereits 1988, dreizehn Jahre vor dem Computervirus ,,biennale.py`` der italienischen Netzkünstler 0100101110101101.org, ein Virus als kunstaktionistischer Streich programmiert und in Umlauf gebracht wurde.1 Wie in Robert M. Slades klassischer ,,History of Computer Viruses`` nachzulesen, tauchte im Februar des Jahres eine Datei für das Apple-Programm Hypercard in einem Forum des Onlinediensts Compuserve auf, die, sobald sie von Nutzern geöffnet wurde, unbemerkt eine Systemerweiterung installierte und den Computer bei jedem Neuanschalten eine parodistische New-Age-Friedensbotschaft anzeigen ließ.2 Die Urheber Artemus Barnoz, bürgerlich Richard Brandow, und Boris Wanowitch waren Herausgeber der kanadischen Computerzeitschrift MacMag und firmierten außerdem als ,,Computer Graphics Conspiracy`` des internationalen subkulturellen Netzwerks des Neoismus3. In seinen Äußerungen zum MacMag-Virus legte Brandow Wert darauf, daß er ihn als Neoist zu neoistischen Zwecken verbreitet habe.4 Weil sich das MacMag-Virus per Disketten auf die Entwicklungscomputer der Firma MacroMind (heute Macromedia) und von dort aus auf die Rechner des (später in Adobe aufgegangenen) Software-Herstellers Aldus verbreitet hatte, waren die offiziell verkauften Installationsdisketten der ersten Version des bekannten Graphikprogramms ,,FreeHand`` mit ihm kontaminiert.5 Dies machte den Fall spektakulär, kostete Brandow Gefängnishaft und inspirierte noch im selben Jahr die Textzeile ,,we are the virus in your computer`` der neoistischen Elektropop-Hymne ,,I am Monty Cantsin`` auf der LP ,,Ahora Neoismus``.6

Nach Robert Slade gehört das MacMag-Virus zu den ersten Personal Computer-Viren überhaupt. Lediglich drei für IBM-kompatible PCs 1986 und 1987 geschriebene, aber wenig verbreitete Viren namens ,,Lehigh``, ,,Jerusalem`` und ,,Brain`` gingen ihm voraus, sowie noch ältere Proto-Viren. So war Brandows und Wanowitchs neoistisches Programm das erste massenhaft vervielfältigte Computervirus, das erste zudem, das nicht nur über Disketten, sondern auch über elektronische Netzwerke verbreitet wurde. Der ,,Morris-Worm``, der 1988 das gesamte damalige Internet zum Erliegen brachte, enstand erst im November des Jahres. Da das MacMag-Virus, wie Tilman Baumgärtel anmerkt, zudem das erste Computervirus war, dessen Botschaft nicht nur in der Selbstreplikation und Manipulation des Wirtssystems als solcher bestand, sondern auch in einem für jedermann lesbaren englischen Text auf dem Computerbildschirm, war er als Hybrid aus Programmquelltext (mit der binär eincodierten Signatur des Programmierers ,,DREW``) und Textausgabe sprachlich komplexer als alle seine Vorläufer. Das Programm des Neoismus, selbstgeschaffene Sprachkonstrukte wie den Eigennamen ,,Monty Cantsin`` als ,,multiple names`` und, wie schon circa 1985 formuliert, ,,data cells`` zu vervielfachen, kollektiv anzunehmen und zu mythologisieren, wurde im MacMag-Virus erstmals computertechnisch umgesetzt und in algorithmischen Programmcode implementiert.

Also ließe sich Geschichte der Computerviren in den Künsten auch umgekehrt erzählen: Nicht nur als poetische und ästhetische Appropriationen von Virencode, wie sie in Netzkunst und -dichtung seit circa 1997 zu beobachten sind (siehe Jutta Steidls Beitrag ,,If() Then()`` in diesem Katalog), sondern auch als eine sprachspekulative Imprägnierung und Aufladung der Computerviren seit ihrer Erfindung. Die potentiellen Quellen dieser praktischen Spekulation sind zahlreich. Neben dem kognitiven Nihilisten Henry Flynt, der mit seinem Projekt einer Widerlegung von analytischer Philosophie mit ihren eigenen Mitteln vor allem auf Neoisten wirkte, wäre auch der 1983 bei Semiotext(e) in New York publizierte Deleuze/Guattari-Band ,,On the Line`` zu nennen, in dem es heißt ,,our viruses make us form a rhizome with other creatures``, ferner der Biologe Richard Dawkins und seine 1976 erstmals publizierte umstrittene Theorie des ,,Mems`` als ansteckender Idee7; vor allem aber der Schriftsteller William S. Burroughs. Seine in radikalen Collageverfahren erstellte, halluzinatorische Agentenroman-Prosa übersetzte Schreibweisen der (durch seinen Freund Brion Gysin vermittelten französisch-surrealistischen) Avantgarde in Popliteratur; doch besonders seine Sprach- und Technikspekulationen hatten durchschlagende Wirkung auf subkulturelle Strömungen und Denkweisen der 1980er Jahre.8

Für Burroughs können Viren nicht nur sprachlich verfaßt sein, oder - wie in Dawkins' ,,Memetik``- bestimmte Sprechakte ansteckende Wirkung haben, sondern die ganze Sprache ist ein Virus:

,,I have frequently spoken of word and image as viruses or as acting as viruses, and this is not an allegorical comparison.9

- Burroughs' Satz, daß Sprache ein außerirdisches Virus sei, wurde zur selbsterfüllende Prophezeiung spätestens, als ihn Laurie Anderson 1979 zum Titel eines Songs ihrer Performance ,,Untited States Live`` machte und diesen 1986 von Nile Rodgers in einer hitparadentauglichen Disco-Version für den Konzertfilm ,,Home of the Brave`` produzieren ließ, ein Film, in dem der zweiundsiebzigjährige Burroughs als Andersons Tango-Tanzpartner auftritt. - Damit formuliert Burroughs die im zwanzigsten Jahrhundert wohl extremste Gegenthese zum Nominalismus der strukturalistischen Linguistik seit Saussure, nach der die Sprache ein rationales Konstrukt ist und die Beziehung von Wortlaut und Begriffsvorstellung allein auf sozialer Konvention beruht. Originär ist Burroughs' Theorie allerdings nicht. Ihre Ursprünge liegen, was er auch nicht verhehlt, in Okkultismen und Parawissenschaften: in der satanistischen Theosophie des Aleister Crowley, in den ,,General Semantics`` von Alfred Korzybski, die der Menschheit mentale Heilung bringen wollte, indem sie mit der Hilfe eines Mobilé-artigen ,,strukturalen Differentials`` falsche Identifikationen von Gegenständen mit Begriffen deprogrammiert,10 - und schließlich in Lafayette Ron Hubbards von Crowley und Korzybski beeinflußter ,,Dianetik``- und Scientology-Doktrin, deren zentraler Punkt die ,,Klärung`` bzw. Löschung von ,,Engrammen``, dem Unterbewußtsein als Wörter eingeschriebenen Traumata, ist; eine Lehre, der nicht nur der ex-Scientologe Burroughs, sondern zeitweilig auch John Cage und Morton Feldman anhingen,11 und auf die Burroughs in seiner Sprachvirentheorie explizit eingeht.12 So, wie Burroughs dadaistische Textmontagen und surrealistische cadavres exquises in pulp fiction überführt, von der man nie recht weiß, ob sie freiwillig oder unfreiwillig parodistisch ist, stellt sich auch Hubbard via Crowley als begnadeter Popularisierer klassischer gnostisch-neuplatonischer und kabbalistischer Geheimwissenschaft dar, der sie im populärwissenschaftlichen Stil der 1940er Jahre zu einer managersprachlichen Science Fiction-Gnosis umcodiert. Daß die Sprache ein Virus sei, liest sich somit als modernistische Neuauflage der bis ins 17. Jahrhundert in den Wissenschaften, danach aber nur noch in den Parawissenschaften und in romantischer Dichtung wie Eichendorffs ,,Wünschelrute`` verbreiteten Auffassung der von Gott gegebenen adamitischen Ursprache, mit der die Menschen im Paradies, wie Genesis 2,19 berichtet, die Macht der Benennung der Geschöpfe besaßen, also Wesen und Dinge durch Wörter beeinflussen konnten; jene demiurgische Macht also, die Rabbi Löw durch praktische Kabbala wiedergewinnt, wenn er den Golem erschafft und ihm die Zauberschrift an die Stirn heftet, und mit der Faust des Pudels Kern extrahiert. Gemeinsam ist adamitischer Sprachtheorie und Burroughs' Virenmodell das a priori der Einhauchung, sei es durch göttlichen Odem, sei es biologistisch säkularisiert als viraler Infekt; und schließlich die Tatsache, daß die Sprache eben weil in-spiriert, nur geliehen ist, sie also durch den Menschen spricht und nicht er durch sie.

Wenn in Computerviren weder Gott, noch ein außerirdisches Virus, sondern ein Programmierer einem Code demiurgischen Odem einhaucht, und wenn die sprachliche Mobilisierung von Dingen sich maschinell vollzieht, so leuchtet einerseits ein, weshalb bereits die christlich-kabbalistischen Sprachspekulationen des Mittelalters und der Frühneuzeit mit Versuchen ihrer mechanisch-kombinatorischen Implementierung einhergehen (so bei Raimundus Lullus sowie in Folge bei Giordano Bruno, Athanasius Kircher, Georg Philipp Harsdörffer und Quirinus Kuhlmann), andererseits aber auch, weshalb diese Kabbalistik in den virenprogrammierende neoistischen Subkulturen zum Spielmaterial geworden ist. Denn davon kündet das MacMag-Virus, wenn es seine, so Brandow, ,,schmierige`` New Age-Botschaft hinterläßt. Das Erbe spekulativer Schriftmetaphysik tritt es in regressiver Verkleidung an, mit der Implikation nämlich, daß eine Sprache, die sich zu Instruktionscode maschineller Demiurgie formalisieren läßt, rationales Konstrukt ist und kein extraterrestrisches Virus. Da Computerviren Programmcode-Konstrukte sind, die ihre Virulenz durch Sprache gewinnen, zeigen sie umgekehrt auch die Virulenz herkömmlicher Schriftsprache auf; so daß eine Schrift wie zum Beispiel das unendlich rekursive ,,Frame Tale`` des amerikanischen Schriftstellers John Barth von 1967, ein Möbiusband mit dem aufgedrucktem Satz ,,ONCE UPON A TIME THERE WAS A STORY THAN BEGAN``, sowohl als Prototyp aller Computerviren und Skript-Attacken gelesen werden kann, als auch, mit der Denkfigur des Computervirus, als selbsterregbarer Code in der Literatur.13

Literatur

[Bar68]
Barth, John: Lost in the Funhouse . New York, London, Toronto, Sydney, Auckland : Doubleday, 1988 (1968) (Anchor Books)
[Bau01]
Baumgärtel, Tilman: Experimentelle Software. In: Telepolis (2001). - http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/9908/1.html
[Bur82]
Burroughs, William S.: Electronic Revolution . Bonn : Expanded Media Edition, 1982
[Fel68]
Feldman, Morton: Give My Regards to Eighth Street. In: The New York School . Basel : HatArt CD 6176, 1994 (1968), S. 5-10
[Kan88]
Kantor, Monty Cantsin / I. Ahora Neoismus. 6 1988
[MH84]
Maeck, Klaus (Hrsg.) ; Hartmann, Walter (Hrsg.): Decoder Handbuch . Duisburg : Trikont, 1984
[Per93]
Perneczky, Géza: The Magazine Network . Köln : Edition Soft Geometry, 1993

©Dieser Text unterliegt der Open Publication License Version 1.0 http://opencontent.org/openpub/ und darf gemäß ihrer Bestimmungen frei kopiert und weiterverwendet werden.

Fußnoten

1[Bau01]

2 "http://www.bocklabs.wisc.edu/ janda/sladehis.html"

3Materialien zum Neoismus finden sich auf "http://www.neoism.net", ein historischer Abriß in Géza Perneckys Buch ,,The Magazine Network``[Per93], S.157-182.

4Die Pressemeldung, seine Aktion sei ,,inspired by prankster groups like the Neoists and the SubGenii`` kommentierte Brandow am 21. Juni 1997 in der SubGenius-Newsgroup alt.slack wie folgt: ,,Yes and no. I am a Neoist (you can ask Monty Cantsin or tENTATIVELY a cONVENIENCE). So I wouldn't have said I was inspired by the neoists being one full time 100% as opposed to part-time neoists.`` - Die Church of SubGenius, eine hysterische Travestie evangelikaler Erweckungssekten, bildete in den frühen 1980er Jahren ein klerikales Pendant des Neoismus, bevor sie kontroverse Aktivitäten wie ihren Analsex-Blind-Dating-Service einstellte, um aus geschäftstüchtigen Kalkül hren pfeiferauchenden Guru Bob Dobbs jr. zu einer amerikanischen Collegehumor-Ikone zu popularisieren.

5Siehe u.a. "http://www.geocities.com/ogmg.rm/Historia.html"

6Die Strophe lautet: ,,We love to horrify the good little children of bourgeois bureaucracy, / we love to terrify all the lying leaders of stupifying politics, / we love to play with blood & fire, we are the virus in your computer, / we make you swing, we make you smile, join us & never die`` [Kan88].

7Siehe u.a. "http://www.memecentral.com"

8Burroughs' Einfluß auf Post-Punk-Subkulturen dokumentiert z.B. das ,,Decoder Handbuch`` von 1984 [MH84] und die von dem Sex Pistols-Graphiker Jamie Reid gestaltete, ca. 1985-1989 erschienene Londoner Zeitschrift VAGUE.

9[Bur82], S.59ff.

10Eine Abbildung des ,,strukturalen Differentials`` findet sich in Korzybskis Hauptwerk ,,Science and Sanity``von 1932 sowie im World Wide Web unter anderem auf "http://www.kcmetro.cc.mo.us/pennvalley/biology/lewis/strucdif.jpg". Korzybski wird auch auf der ersten Seite von Burroughs ,,Electronic Revolution`` zitiert, [Bur82], S.5

11Morton Feldman schreibt über seine Begegnung mit Cage in den frühen 1950er Jahren: ,,There was a lot of talk about science fiction, als about Dianetics, a currently popular technique that was said to bring back memories of the womb. As I recall, John and I, with our crazy ideas about music, fitted in very well.`` [Fel68], S.7

12[Bur82], S.42-45.

13[Bar68], S.3