Das ’Betriebssystem Kunst' hacken Cornelia Sollfrank interviewt von Florian Cramer am Rande des Jahreskongresses des Chaos Computer Club im Haus am Köllnischen Park, Berlin, 28.12.2001 [Strichfassung, 4346 Wörter] FC: Bestimmte Themen scheinen in Deiner Arbeit immer wieder aufeinander bezogen zu sein: Hacken und Kunst, computergenerierte bzw. generative Kunst, Cyberfeminismus, Fragen, die Deine neue Arbeit "Improved Television" aufwirft, schließlich der Komplex Plagiate und Appropriationen... CS: Das Interessante und Schwierige sind ja die Beziehungen zwischen diesen Komplexen, mit denen ich auch immer hadere, weil ich das Gefühl habe, daß alles immer parallel läuft. Diese Beziehungen aber zu benennen, ist schwer, auch weil ich in meiner Arbeit zu einer bestimmten Zeit mehr in einem Feld drin bin und dann wieder mehr in einem anderen. FC: Wir sind hier auf dem Jahreskongreß des Chaos Computer Club. - Ist für Dich Hacken Kunst und hat vielleicht auch umgekehrt Kunst etwas mit Hacken zu tun? CS: Beides. In den vier, fünf Jahren, seit denen ich mich jetzt mit Hacking beschäftige, bin ich immer mehr zu dem Ergebnis gekommen, daß Hackerkultur immer auch eine nationale... (lacht) Couleur zumindest hat. Deswegen ist es für mich interessant, in andere Länder zu gehen, besonders nach Italien, weil es dort anscheinend keine Berührungsängste zwischen Künstlern, Aktivisten, Philosophen etc. gibt. Die koexistieren sehr selbstverständlich, sprechen auch miteinander und finden dabei teilweise sogar eine Sprache, in der sie kommunizieren können (lacht), was ich aus Deutschland zum Beispiel nicht unbedingt kenne. Hier, auf diesem Kongreß, bewege ich mich auf einem schwierigen Terrain. Als Künstlerin im Chaos Computer Club habe ich die schlimmsten Vorurteile, Beleidigungen und Beschimpfungen meines Lebens erlebt. FC: Du sagst: im Chaos Computer Club als "Künstlerin". Was ist da entscheidend? "Künstler" oder "-in"? CS: Beides. Hinsichtlich des Geschlechts gibt es eine prinzipielle Offenheit. Wenn man sich nämlich mit genau den gleichen Themen beschäftigt und dieselbe Sprache spricht, ist das kein Hindernis. (Lacht.) Da das aber selten der Fall ist, wird es doch zu einem. Das größere Problem ist aber in der Tat die Kunst. Das hat mich total verblüfft. Ich habe ein nettes Gespräch auf irgendeiner Party des Chaos Computer Clubs, werde gefragt, was ich mache, und wenn ich sage, ich bin Künstlerin, kommt nur noch der Ausruf (mit kehliger Stimme:) "ICH HASSE KÜNSTLER!", und zwar genau in dieser Tonlage. FC: 1999 hast Du mit einer Hackerin auf einem Chaos Computer-Kongreß ein Interview geführt... CS: ...Clara S0pht... FC: ...genau. Und offenbar arbeitest Du an einer umfassenderen Videoprojekt zu dem Thema. CS: Ja, ich arbeit an einer Serie von Video-Interviews mit weiblichen Hackern. Auf Grund meiner Erfahrungen im CCC habe ich zuerst einfach recherchiert und zielgerichtet versucht, Frauen zu finden, die sich selbst auch als Hackerinnen bezeichnen. Weil ich so gut wie nicht fündig geworden bin, habe ich vom Journalisten-Modus umgeschaltet in den Künstler-Modus und gesagt, daß ich eingreifen muß, weil es es mir nicht gefällt, wie es ist. (Lacht.) Und so habe ich zum Beispiel dieses Interview gemacht mit Clara S0pht, die es ja gar nicht gibt. Ich habe eben angefangen, Hackerinnen zu erfinden. FC: Ach so! (Lacht.) Toll! CS: Auf dem vorletzten CCC-Kongreß habe ich einen kurzen Vortrag über women hackers gehalten und das Interview mit Clara S0pht gezeigt. Es war relativ gut besucht, auch viele Männer waren da, die sich alles angesehen und mich dann beschimpft haben, weil ich die Privatsphäre von Clara S0pht nicht ordentlich geschützt hätte, wo sie doch ausdrücklich Angaben über ihre Person nicht veröffentlicht haben wollte. Am Ende der Veranstaltung erwähnte ich dann nebenbei, dass es die Frau nicht gibt, dass ich sie erfunden habe. Da sind schon einige Kiefer heruntergeklappt. Ganz unerwartet hatten sie Kunst erfahren, eine Kunst, die zu ihnen gekommen war, auf ihren Kongress und ihre Sprache spricht. Mich hat das sehr amüsiert. Mit so kleinen Dosen von ’Pädagogik' kann man eine Menge auslösen und sicher auch dem CCC zu einer Weiterentwicklung verhelfen. FC: In den frühen Neunziger Jahren hat der Kunstkritiker Thomas Wulffen die Metapher vom "Betriebssystem Kunst" geprägt. Kannst Du damit etwas anfangen? Oder findest Du das problematisch? Deine künstlerischen Hacks, über die wir gesprochen haben, setzen ja gar nicht unmittelbar auf der Betriebssystemebene der Kunst auf. CS: Ich kann sogar sehr viel damit anfangen, weil das, was mich am meisten interessiert an der Kunst, das Betriebssystem ist, die Parameter, die in ihm herrschen, wie sie sich verändern können und durch die Möglichkeiten neuer Medien auch verändern. Zum Betriebssystem Kunst gehört auch das Künsterbild, die Vorstellung eines künstlerischen Programmes, der Werkbegriff, bis hin zu den Interfaces - wer und was wird ausgestellt, und wer sieht sich das an. Dieses System ist eigentlich das, was mich an der Kunst am meisten interessiert. Und um intervenieren und damit spielen zu können, muss ich wissen, wie es funktioniert. FC: Aber ist es dann nicht schwierig, auch Netzkünstlerin zu sein? An der Netzkunst hat man ja genau gesehen, wie in dem Moment, in dem da keine Objekte mehr produziert wurden, die man hätte ausstellen können, sie durchs Raster fiel und nicht anerkannt wurde im Betriebssystem Kunst. Ich finde es immer noch erstaunlich, wie sehr Netzkunst damit zu kämpfen hat, in diesem Betrieb überhaupt ernstgenommen zu werden. Ist es dann nicht schwierig für Dich, als Künstlerin das Betriebssystem Kunst hacken zu wollen, dies aber als Netzkünstlerin zu tun? CS: Zunächst würde ich mich nicht ausschliesslich als Netzkünstlerin bezeichenen, sondern lieber als eine Art Konzeptkünstlerin. Ich finde das Netz zwar sehr interessant, und darin zu agieren, kommt mir sehr entgegen, aber, wie gesagt, arbeite ich auch mit Video, Text, Performance und was auch immer für ein bestimmtes Projekt adäquat ist. Dass Netzkunst nicht anerkannt wird im Kunstsystem oder zumindest auf grosse Probleme da trifft, liegt meines Erachtens hauptsächlich daran, dass es keine Werke (/Objekte) gibt, die auf sinnvolle Weise den Besitzer wechseln können. Eine Kunst, die nicht marktkompatibel ist, ist kaum von Interesse, da letztendlich der Markt die treibende Kraft im Betrisbssystem Kunst ist. Eine weitere Schwierigkeit ist die Ausstellbarkeit. Was rechtfertigt es, Netzkunst im 'white cube' zu zeigen? So müssen sich alle Ausstellungsmacher fragen: Wieso sollen wir Netzkunst eigentlich hier, in unserem Museum zeigen? Einige Netzkünstler haben auch sehr schnell begriffen, dass sie mit ihrer produktlosen, schlecht repräsentierbaren Kunst nicht weit kommen (im System), und sind dazu übergegangen, in Richtung Rauminstallation zu arbeiten. Das funktioniert prima und war in der Videokunst auch nicht anders. Es ist also kein neues Phänomen mit der Netzkunst. Auch vor ihr gab es ephemere Kunst, Fluxus und Performancekunst zum Beispiel, oder technisch verlustfrei reproduzierbare Kunst wie Video oder Fotografie. All diese Kunstformen hatten enorme Probleme zu Beginn, und dann gab es doch Möglichkeiten für den Markt, und einzelne Vermittler haben sich dafür stark gemacht und es durchgesetzt. -- Und wenn es alles zuviel wird, läutet man mal wieder eine Dekade der neuen Malerei ein - zur Erholung. Was die Netzkunst anbelangt, beobachte ich aber durchaus auch ein Interesse vonseiten des Kunstbetriebes. Nach dem ersten Hype sehe ich im Moment eine Art Konsolidierung. Schliesslich gibt es einige grosse Institutionen wie das Guggenheim, die Tate Gallery oder das Walker Art Center, die sich aktiv für die Produktion von Netzkunst einsetzen, indem sie Commissions vergeben. Was schiefging mit der Netzkunst war, dass die Künstler - ich spreche da von der Gruppe net.art und Umfeld - nicht gemeinsam Strategien entwickelt hatten, wie sie mit dem Betriebssystem Kunst umgehen wollten, was z.B. eine grosse Stärke der Fluxus-Künstler ausmachte. Es fehlte die Bereitschaft, da überhaupt ein Problem zu sehen. Ausdruck dieser historischen Situation waren für mich zum Beispiel der Netzkunst-Wettbewerb der Hamburger Kunsthalle 1997, ebenso wie der Einzug von Netzkunst auf der documenta x. Die Künstler waren sehr verunsichert und wussten nicht, wie sie mit den unsinnigen und unverständigen Bedinungen umgehen sollten. Und sie machten dann halbherzig mit. Dabei wäre es an dieser Stelle ein leichtes gewesen, das Betriebssystem Kunst wirklich zu hacken. Eine vertane Chance auf jeden Fall. FC: Ich frage mich, ob für Dich zum Beispiel bei ’Female Extensions' - als Du für den Netzkunst-Wettbewerb der Hamburger Kunsthalle mehrer hundert Websites unter weiblichen Künstlernamen eingereicht hast, die in Wirklichkeit von einem Computerprogramm generiert wurden - das Computerprogramm bloß ein Vehikel ist, ein Mittel zum Zweck. Auch ’Female Extension' war ja ein ’social hack', nämlich ein cyberfeministischer Hack dieses Netzkunstwettbewerbs. Wie Deine Generatoren programmiert sind, war dabei doch relativ egal. CS: Im Prinzip, ja. (lacht). Zu Beginn hatte ich vor, alle Websites per Hand machen, mit Copy'n'Paste, weil ich nicht der Lage war, das zu programmieren. Die Programmierung hat sich dann eher zufällig ergeben durch einen befreundeten Künstler. Ich war sehr erfreut über die Ergebnisse; die automatisch generierten Seiten sahen durchaus künstlerisch aus. Die Jury hat es jedenfalls geschluckt -- obwohl keine meiner Künstlerinnen einen Preis bekommen hat. Durch ’Female Extension' und den social hack bin ich dann hängengeblieben bei der Idee, die Generatoren genauer zu konzipieren. Drei Versionen existieren seit einiger Zeit: einer, der nur mit Bildern arbeitet, einer, der Bilder und Text in Schichten anhäuft und einer, dem die 'Dada Engine' zugrundeliegt. Der letzte ist auf Texte spezialisiert und erfindet wunderbare Wortkombinationen, teilweise sogar mit Bestandteilen aus unterschiedlichen Sprachen. Zwei weitere sind in Planung für bestimmte Anwendungen. FC: Braucht man dann, Deiner Meinung nach, überhaupt solche Labels wie "Netzkunst"? CS: Ich denke, solche Labels sind in der Anfangszeit sinnvoll, wenn ein Medium relativ neu ist, neu vor allem in der Massenverbreitung, und sich damit auch gesellschaftliche Veränderungen ergeben; in der Phase, in der experimentiert wird mit einem neuen Medium, das eigentliche Potential ausgelotet wird, wie es in der Netzkunst jodi zum Beispiel gemacht haben. FC: Entwickeln aber nicht auch einige Deiner Arbeiten, wie zum Beispiel die Netzkunstgeneratoren, ihre Interventionen aus Medien heraus? CS: In diesem Fall schon, ja. Aber es muß nicht zwangsläufig so sein. Der Begriff Netzkunst war auch ein ganz guter Marketing-Gag und hat solange gut funktioniert, bis die Marketing-Strategie quasi erfolgreich war, und dann ist alles zusammengeklappt [lacht]. FC: Deine neueste Arbeit ’Improved Television' bezieht sich auf Schönbergs ’Verklärte Nacht', ihre Umcodierung durch Nam June Paik, der ihre Schallplattenaufnahme mit geviertelter Geschwindigkeit abspielt, und ihre Re-Codierung durch Dieter Roth, der Schönbergs Musik wiederherzustellen versucht, indem er Paiks Version vierfach beschleunigt. Das hat mich sofort an die Literaturtheorie von Harold Bloom erinnert, seine sogenannte Einflußtheorie nämlich, derzufolge die Literaturgeschichte eine Abfolge ist von großen Schriftstellern, die jeweils einen Vorgänger als ödipales Über-Ich übernehmen... [Lachen] ...und sich dann von ihm freischwimmen... CS: ...Der Untertitel meiner Arbeit war bis vor kurzem ’Scheinbare ödipale Fixierung', den habe ich aber wieder verworfen. [Lacht.] FC: ... Dahin ging meine Vermutung. Da gibt es diese, auch aus meiner Sicht, enormen Künstler, Schönberg, Paik und Roth, die sich gegenseitig vom Sockel holen, um sich dann selbst auf den Sockel zu heben... CS: [Lacht.] FC: Ist es nicht die Tragik solch einer anti-ödipalen Intervention, daß sie sich zwangsläufig, ob sie es will oder nicht, doch wieder in die ödipale Logik einschreiben muß? Das sehe ich gerade in diesem Stück... CS: Ja, sicher ist das eine Tragik! Gerade deshalb habe ich es mir ja zum Thema gemacht. Aber ich finde es auch amüsant, damit zu spielen, wie auch die Reaktionen des Publikums, die teilweise sehr aggressiv waren. Ich kriege Vorwürfe wie: "Du willst ja auch nichts anderes, Du willst ja auch nur so sein wie die" [lacht]. Mir geht es eigentlich nur darum, diese Prozesse zu zeigen, dieses Betriebssystem, wie es funktioniert. Daß ich aus ihm nicht herauskomme, wenn ich drin sein will, ist ja logisch. Ein anderes Beispiel hierfür ist, das uns wieder zurückführt auf die Marktkompatibilität von Netzkunst, daß ich kürzlich von einem Fünfsterne-Hotel, das in Hamburg gebaut wird, eingeladen worden bin, es teilauszustatten mit anderen KünstlerInnen. Unter dem Aspekt, vermarktbare Produkte herzustellen, habe ich ironisch damit angefangen, die automatisch generierten Webseiten auszudrucken auf Leinwand und Papier und rahme sie. Ich produziere jetzt Serien damit, die ich auch als Bilderserien hänge. Es geht um das Rematerialisieren von Netzkunst, sie wieder in gängige Formate zu packen und dann zu sehen, was mit ihr passiert. FC: Ist das dann immer noch Konzeptkunst? CS: Ja, klar, für mich schon. - Natürlich ist die Bezahlung für diese Arbeit wichtig, der interessantere Aspekt und die völlig unerwartete Perspektive aber ist, diese Arbeit zu vermarkten als den ersten nennenswerten Verkauf von Netzkunst [lacht]. FC: Ich versuche, von hier aus den Sprung zum Cyberfeminismus zu machen, und das ist schwer... Stichwort Strategie... Vielleicht fange ich so an: Was mich immer gestört hat am Begriff "Cyberfeminismus" war weniger der "Feminismus", als das Präfix "Cyber-". Mußte das sein? CS: [Lacht.] Das ist erstaunlich! Wenn Dich der Feminismus gestört hätte, fände ich das nachvollziehbarer. [Lachen.] Aber Du scheinst p.c. zu sein... Zum Thema ’Cyber': das ist "what it is all about". Ich habe zum ersten Mal von Cyberfeminismus aus dem Mund von Geert Lovink gehört und damals zu ihm gesagt: Was ist denn das für ein Quatsch? Das war in der Zeit, als alles plötzlich 'Cyber' wurde, 'Cyber-Money', 'Cyber-Body', etc. FC: Ja eben. CS: Es gab damals, 1995 oder 96, kaum Material zum Cyberfeminismus. Und dann hat Geert Lovink mir als Referenzen natürlich Sadie Plant und VNS Matrix geschickt - und "Innen", eine Künstlerinnengruppe, in der ich damals noch selbst war. Er hat mir also meinen eigenen Kontext geschickt als Referenz für diesen Begriff. Das war eine gelungene Überraschung. Und dass er es gemacht hat, war gewiss kein Zufall. Also dachte ich, okay, ich nehme jetzt einmal an, dass es so ist [lacht], er weiss schon, welche Referenzen er mir schickt. Das habe ich arbeiten lassen in meinem Kopf. Als nächstes kam die Einladung zum 'Hybrid Workspace' auf der documenta x, wieder von Geert, der mich einlud, eine Woche oder einen Block - nicht zu Cyberfeminismus, sondern irgendeinem Frauenthema - gestalte. Und diese Einladung war eigentlich der Auslöser für mich, mit dem Begriff 'Cyberfeminismus' zu arbeiten. Inzwischen hatte ich nämlich Gefallen daran gefunden und entdeckt, dass ein enormes Potential drin steckt, das von VNS Matrix oder Sadie Plant noch gar nicht ausgenutzt worden war. Die hatten nur kleine Bereiche bespielt. Ein Präfix zu nehmen, das in einem Hype dahergeschwommen kommt und von allen aufgenommen wird, und es mit etwas zusammenzubringen, von dem alle sagen, O Gott - nämlich Feminismus -, erzeugte eine Kraft. FC: Mein Problem rührt wahrscheinlich von einer akademischen Perspektive her. Wir diskutieren jetzt in einem Kontext von Netzkulturen, die Mailinglisten wie Nettime und andere Foren einschließt, in dem man sich über die Lächerlichkeit von "Cyber"-Vokabeln nicht mehr unterhalten muß. Das ist abgehakt, und wenn so etwas kommt, weiß man, daß es nicht ganz ernstgemeint ist. In den Geisteswissenschaften aber ist diese "cyber"/"hyper"/"virtuell"-Terminologie nach wie vor aktuell, und da paßt "Cyberfeminismus" ganz glatt und wunderbar zum Beispiel in den Kontext der cultural studies hinein. CS: Ich verstehe nicht, was Dein Problem damit ist... FC: Daß man einen Diskurs schafft, der im akademischen Betrieb eine Eigendynamik gewinnen kann und dann gar nicht mehr... CS: ...ach so, ja. Das unterschreibe ich Dir voll. Unsere Hauptidee war auch nicht, im herkömmlichen Sinn, ein politisches Ziel zu formulieren, sondern wir haben immer gesagt, daß die Struktur, in der OBN organisiert ist, genauso wichtig ist wie die Inhalte. Cyberfeministin zu sein, heißt, an der Struktur mitzuarbeiten, nicht bloß auf eine Konferenz zu gehen und ein paper vorzulesen, sondern es bedeutet auch, sich um Geld zu kümmern, mal eine Website zu machen, also strukturbildend mitzuarbeiten. Und "Politics of dissent" ist ein wichtiger Begriff. FC: 1997 hatte Dich Josephine Bosma in einem Interview gefragt, "do think there are any specific issues for women online?" - und Du hast geantwortet: "No, I don't think so really". CS: [Lacht.] Das glaube ich immer noch. FC: Ja? - Das war meine Frage. CS: Nach viereinhalb Jahren Cyberfeminismus und Kontexten wie "Frauen und neue Medien", in denen ich inzwischen herumgereicht werde, ist meine Beobachtung, dass man das Thema in zwei Bereiche teilen kann. Das eine ist der Bereich des 'access', also, ob Frauen gleichen Zugang zu Wissen und Technik haben, was ein soziales Problem ist. Das zweite ist, was passiert dann auf dem Netz oder mit dem Medium? - Was aber dazu angeboten wird in diesem Spektrum, finde ich mühsam herbeidefinierten essentialistischen Quatsch, der bestehende ungute Verhältnisse eher festschreibt als tatsächlich etwas aufbricht... Es gibt ja nicht wenige Künstlerinnen, die davon ausgehen, dass Frauen eine eigene Ästhetik entwickeln müssen, mit der sie herrschenden Verhältnissen entgegenwirken. Damit hatte ich immer Probleme und wusste nicht, was das sein könnte, ohne sich selber wieder festzuschreiben in Rollen oder Definitionen, die dann ganz leicht wieder gegen einen, gegen die Frauen oder die Frau gewendet werden können. Das ist ja das Problem von Essentialismus. Die Differenz, auch wenn ich sie selber beschreibe, kann dann ja auch ganz leicht wieder umgedreht werden. Ich glaube, das führt nicht weit und ist eine Falle. Ausserdem war eine der Miseren der Identitätspolitik, dass von bestimmten Gemeinschaften und Gruppen entwickelte Identitäten einfach nahtlos integriert wurden, zum Beispiel durch Werbung - eine völlige Umkehrung der eigentlichen Intention eingetreten ist. FC: Mir fällt auf, daß gerade in der codeexperimentellen Netzkunst Frauen sehr stark vertreten sind. CS: Ja? FC: Aus meiner Sicht, ja. Jodi z.B. sind ein männlich-weibliches Paar, ebenso 0100101110111001.org. Dann denke ich an mez oder auch an antiorp/Netochka Nezvanova, von der man mittlerweile weiß, daß eine Neuseeländerin ihren Kern bildet... CS: Ach nee!!! FC: Doch! CS: Ich arbeite nämlich gerade an einem Interview mit Netochka Nezvanova, und sie erzählt mir alles! Was sie denkt über die Welt und den Kunstbetrieb... [lacht] FC: Das ist also jemand, der Dich auch fasziniert... CS: Ich finde es als Phänomen natürlich äusserst interessant und frage ’sie' Dinge, wie z.B. welche Rolle die Tatsache, dass sie eine Frau ist für ihren Erfolg spielt... Schliesslich stecken mehrere Personen dahinter. Ich habe so viele Leute befragt zu ihr, und jeder hat andere, ganz widersprüchliche Informationen. Die letzte Theorie, die mir unterbreitet wurde hat zu dem Medientheoretiker Lev Manovich geführt. [lacht.] Es ist so toll, was Netochka Nezvanova auslöst bei den Leuten. Von daher ist es ein gutes Konzept. Aber ich finalisiere jetzt dieses Konzept. Ich will sie killen, indem ich ein Interview mache, in dem sie ihre ganzen Strategien preisgibt - was sie natürlich nie machen würde. FC: Könntest Du in jedem beliebigen Kontext arbeiten? Wir treffen uns hier auf dem Jahreskongreß des Chaos Computer Clubs. Könnten wir uns genauso gut auf einem Jahreskongreß von Briefmarkensammlern treffen, und dies wäre dann das soziale System, in das Du künstlerisch intervenieren würdest? CS: Theoretisch ja [lacht]. Ich glaube, etwas Schlimmeres als die Hackerkultur gibt es nicht [lacht], und wenn man das geschafft hat, kommt man überall klar, auch mit Kleingärtnern und Briefmarkensammlern... FC: ...und mit Hotelfluren... CS: ...und mit Hotelfluren. - Nein, theoretisch ist zwar viel möglich, praktisch aber nicht. Mein Interesse ist ja nicht rein formal und rein auf das Betriebssystem ausgerichtet. Das ist zwar interessant, aber wenn nicht auch das, was in diesen Systemen verhandelt wird, oder die Leute darin von Interesse für mich sind, kann ich mir das kaum vorstellen. FC: Das heisst, auf einem Hackerkongress ist Dein Bezug, dass da Leute mit Systemen spielen und kritisch über Systeme nachdenken. CS: Und was ich auch interessant finde, ist, daß Hacker unabhängige Experten sind, also Programmierer, die an der Sache wirklich um ihr selbst willen interessiert sind und nicht im Dienste von Firmen, der Ökonomie oder der Politik tätig sind. Das ist eigentlich das Wichtigste für mich. Und deshalb sind Hacker für mich auf eine wichtige Informationsquelle. FC: Aber damit landen wir doch wieder beim klassischen Konzept des autonomen Künstlers, wie es im 18. Jahrhundert geprägt wurde, dem freischaffenden Genie, das kein angestellter Auftragskünstler mehr ist, sich selbst definiert und auch keinem Regelwerk mehr folgt. CS: Ja, wahrscheinlich hat dieses Bild des Hackers sehr viel mit so einem Künstlerbild zu tun. Wenn ich überlege, wo ich die Kunst in der Gesellschaft ansiedele, ist es aber weniger der individuelle Künstler, sondern die Kunst selbst, die ich gerne als autonom sehen würde - und das alles unter der Vorgabe, dass ich den Autonomie-Bergiff an sich problematisch finde. Dass Kunst beobachtet, Stellung bezieht, kommentiert und versucht, andere Perspektiven aufzuzeigen, um das so allgemein zu formulieren. Und das, glaube ich, ist zur Zeit gefährdet. Das Widersprüchliche an der Autonomie ist, dass jemand da sein muss, der sie schützt/finanziert. Und es war erst einmal bequem, dass die öffentliche Hand das machte, wie es hierzulande in den letzten Jahrzehnten der Fall war, denn da bleibt in der Tat am meisten Freiraum. Und dass dies wichtig ist, sieht man ja, zum Beispiel an der Pop Art oder der Neuen Musik; in den 60er und 70er Jahren sind Künstler aus der ganzen Welt nach Deutschland gekommen, weil es hier einfach öffetnlich geförderte Möglichkeiten gab zu arbeiten, die nirgends sonst existierten. Und so sehe ich es schon als Aufgabe eines Staates an, Geld zur Verfügung zu stellen. Und die Entwicklung, die wir momentan erleben, finde ich katastrophal. Vor kurzem hat mich jemand gefragt, wie ich die Zukunft der Kunst sähe, und nach einigem Nachdenken zeichnete sich mir das Bild eines Großraumbüros ab, mit lauter Künstlern, die alle gleich aussehen und von irgendeiner Firma bezahlt werden [lacht], einer Kunst, die von ökonomischen Interessen funktionalisiert wird. Das finde ich eine Katastrophe. Was nicht heisst, daß ich mich grundsätzlich nicht sponsern lasse von Firmen, aber das lasse ich eben nur punktuell zu. FC: Spielen hier die elektronischen Künstler nicht die Vorreiterrolle, weil sie so extrem von Technologie abhängig sind? CS: Das ist ein echtes Problem, finde ich. Das ist wirklich ein ganz, ganz großes Problem. Vorreiterrolle... FC: ...durchaus im negativen Sinne... CS: ...im Prinzip, ja. Das ist ein ganz schwieriges Feld. Deshalb fände ich es interessant, wenn zum Beispiel die ars electronica, der es ja offensichtlich an echten Themen mangelt, einmal mit dem Schwerpunkt Freier Software stattfinden, auf die ganzen corporate sponsors verzichten und nur Kunstwerke auszeichnen würde, die mit Freier Software erstellt worden sind, um zu sehen, was man damit auf die Beine stellen kann. Das fände ich total spannend. [Wir schalten das Tonbandgerät ab und sprechen über die Notwendigkeit, Dinge einerseits zu tun und andererseits wieder über den Haufen zu schmeißen, gelangen darüber zum Neoismus und die internen Auseinandersetzungen der Neoisten.] CS: Solche Querelen können ja existentiell werden, einen sehr mitnehmen, reinziehen. Das kriegt dann plötzlich so etwas wahnsinnig Authentisches, wovon ich mich sonst versuche zu distanzieren. FC: Aber das ist wichtig. Wenn ich Standardvorwürfe höre wie etwa den, dass die Beschäftigung mit Systemen und ihrer Aushebelung, mit Plagiaten, Fälschungen und Manipulationen von Zeichen langweiliges postmodernes Zeug sei ohne existentielle Härte, dann kann ich nur entgegnen, daß wer dies behauptet, so etwas noch nie radikal durchgezogen hat. Zumal dies, gerade auf persönlicher Ebene, ins Mark gehen kann. - Du hattest vorhin auch die 'Innen'-Gruppe angesprochen, in der Du offenbar vor Deiner Beschäftigung mit Netzkunst in den frühen 90er Jahren gearbeitet hast... CS: Ja, '93-96. FC: ...und das war, wenn ich es richtig verstehe, auch ein 'multiple identity'-Konzept. CS: Ja, und obwohl wir sehr spielerisch und ironisch damit umgegangen sind, ist es plötzlich so bedrohlich geworden, dass wir es aufgeben mussten. Wir hatten das Eins-Sein zum Teil sehr extrem betrieben, indem wir ganz genau gleich aussahen, und auch das, was wir sprachen, völlig standardisiert hatten. Wir wollten nur noch in alle vier Himmelrichtungen auseinanderlaufen und uns nie mehr begegnen. FC: Ist das der Punkt, an dem Kunst potentiell zur Religion oder zur Sekte wird? CS: Wenn man es dann nicht aufgibt... FC: Also hat das Entwerfen von Systemen auch immer etwas mit Kontrolle und Kontrollverlust zu tun? Am Anfang bist Du noch der Designer, und Du definierst die Spielregeln, doch dann wirst selbst zum Teil des Spiels, und es wird Zeit auszusteigen. CS: Ja, ...aber nicht unbedingt; es kommt ja darauf an, was passiert. Beim ’Old Boys Network' unternehmen wir gerade den Versuch, das Label freizugegeben. Das durchzudenken und uns vorzustellen, war aber auch ein schmerzlicher Prozeß. Man denkt: "Oh Gott, da macht jemand etwas ganz Schreckliches damit, das ist doch Scheiße". Aber wenn wir konsequent sein wollen, müssen wir eben damit leben. Problematisch für OBN war immer, dass es ’Netzwerk' heisst, letztendlich aber mehr als Gruppe funktioniert. FC: Das ist aber, so scheint es mir, überhaupt eine Selbsttäuschung vieler sogenannter Netzkulturen. Ich behaupte zum Beispiel, daß auch "Nettime" und die "Netzkultur", die es zu vertreten vorgab, eine Gruppe war, bis ungefähr 1998. CS: Das geht auch nicht anders. Ein Netzwerk kann nicht anders entstehen. Es muß ja irgendwo Verdichtungen geben, eben auch von Verbindlichkeiten. Ein "Netzwerk" würde ich nicht als sehr verbindlich bezeichnen. FC: Wie hängen dann Deinem Verständnis nach Netzwerk und System zusammen? CS: Ich denke, ein System ist klarer strukturiert und definiert, mit klaren Spielregeln und Spielern. Ein Netzwerk ist offener, loser. Oft weiß man gar nicht, dass man zu einem Netzwerk gehört und umgekehrt, wohingegen Teil eines Systems zu sein ganz klar bedeutet, dass man sich an dessen Regeln hält. FC: Man könnte ja behaupten, daß es rein technische Netzwerke und rein technische Systeme gibt. Deine Arbeiten intervenieren wahlweise in soziale oder technische Netzwerke, letztlich ist die Intervention aber immer ein soziale. Sind für Dich Systeme und Netzwerke, so wie Du sie eben definiert hast, überhaupt denkbar ohne soziale Partizipation? CS: Nein. Gar nicht. Denn die Regeln werden ja von jemandem festgelegt. Auch ein Computerprogramm wird oft versehentlich als etwas Neutrales gesehen. Microsoft Word zum Beispiel. Jeder denkt, Word kann nur so sein, wie Word ist. Das ist aber nicht so, es könnte auch ganz anders sein... FC: In der Kunst gibt es ja auch ältere Versuche, selbststeuernde Systeme zu entwickeln. Hans Haacke hat in den 60er Jahren einen "Condensation Cube" aus Glas gebaut, auf dessen Wänden sich je nachdem, wieviele Betrachter sich im Ausstellungsraum aufhalten, Wasser niederschlägt. So etwas wäre für Dich nicht interessant? CS: Nein. Das glaube ich nicht. Bei generativer Kunst ist es ja auch oft der Fall, dass einfach ein System in ein anderes transformietr wird. Das finde ich total langweilig. Von einer Intervention sollte immer ein Impuls davon ausgehen, der eine Veränderung bewirkt-oder zumindest anstrebt. FC: Vielen Dank für das Gespräch.